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Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur

SQ-Workshop des IZKT, 25.-28. April 2019

Stuttgarts Auto-Biografie. Mensch – Mobilität – Stadtraum

Die Förderung der vielfältigen, nachhaltigen urbanen Mobilität und die notwendige Stadtreparatur zu einer lebenswerten Stadt lassen viele BürgerInnen in Stuttgart aktiv werden. Der Wandel ist zwar spürbar, sichtbar ist er aber noch wenig. Was hindert die zukunftsweisende Entwicklung und wie kann sie beschleunigt werden? Was sind die Faktoren und wer sind die Menschen, die den Wandel vorantreiben? Wie soll Stuttgart in Zukunft mobil sein und wie wird das neue Mobilitätsverhalten die Stadt verändern?

 

Diesen Fragen widmeten sich 25 Studierende aus 10 verschiedenen Fachdisziplinen während des Workshops „Stuttgarts Auto-Biografie. Mensch – Mobilität – Stadtraum“, der vom 25.-28. April 2019 an der Universität Stuttgart stattfand. Der Österreichische Platz – das Paradebeispiel einer am Autoverkehr orientierten Stadtgestaltung – stand im Fokus der Vorträge, die die Perspektiven der Stadtgeschichte, Stadtplanung, Technik- und Mobilitätsgeschichte zusammenführten und theoretische Inputs für die anschließende selbständige Arbeit der Studierenden lieferten.

 

Download: Programm des Workshops

 

Günter Riederer beim Vortrag

 

Vortrag von Kurt Möser in der St. Maria-Kirche

 

Ein Feldforschungsauftrag führte die fünf studentischen interdisziplinär zusammengesetzten Teams in das Quartier um den Österreichischen Platz. Bei einem Stadtspaziergang wurden Beobachtungen über den Stadtraum, seine Gestaltung, Ausstattung, Nutzung, Aufenthaltsqualität sowie über die im Quartier vorhandene Mobilitätsinfrastruktur angestellt. Mit der Methode des Design Thinking wurden anschließend kreative Ideen für eine „Stadtreparatur“ entwickelt, vorgestellt und diskutiert.

 

Beim Stadtspaziergang am Österreichischen Platz

 

Kreativworkshop

 

Am nächsten Tag lernten die Studierenden unterschiedliche Formen der Bürgerbeteiligung in der Theorie und an konkreten Stuttgarter Beispielen kennen. Vorträge stießen auf großes Interesse und regten zu intensiven Diskussionen über die Rolle der BürgerInnen bei der Stadtgestaltung an. Die von den studentischen Gruppen vorgestellten „Neuen Realexperimente für Stuttgart“, die den Wettbewerb im Rahmen des Reallabors gewonnen haben und im Sommersemester 2019 auf dem Österreichischen Platz realisiert werden sollen, zeigten, dass die Ideen gefragt und ernst genommen werden.

Zum Abschluss präsentierten die Teams die Ergebnisse ihrer viertägigen Arbeit: Erzählungen, deren Handlungen um den Österreichischen Platz im Jahr 2050 spielen. Auf Grundlage des zuvor konzipierten Entwurfes und nach den Regeln des erfolgreichen Storytellings verfasst, zeigten sie die Verwandlung dieses Stuttgarter Platzes in der Zukunft. Die Geschichten stellten einen Beitrag zum Diskurs um eine neue Mobilitätskultur und sollen dazu motivieren, den öffentlichen Raum bewusst wahrzunehmen und ihn aktiv mitzugestalten.

 

Präsentationen der Teams

 

Eine Expertenjury wählte aus den fünf Erzählungen die beste aus. Die Gewinner-Geschichte „Günther F. Wir Kinder vom Österreichischen Platz“ wurde von einem automatischen Sprachsystem vorgetragen – ein augenzwinkernder Hinweis auf eine imaginierte vollautomatisierte Zukunft. Die Geschichte veröffentlichen wir hier (am Ende des Beitrags) in voller Länge.

 

 

Der Workshop wurde zum vierten Mal in Folge im „Future City Lab_Stuttgart: Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur“ als fachübergreifende Schlüsselqualifikation an der Universität Stuttgart angeboten. Er fand in Kooperation des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung (IZKT) mit dem Stadtarchiv Stuttgart, der Hochschule der Medien und der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) statt. Der erfolgreiche Ablauf des Workshops, die gute Arbeitsstimmung und das positive Feedback der Studierenden bestätigten erneut, dass solche trans- und interdisziplinär angelegte Seminare nicht nur Spaß machen, sondern auch ein großes Potenzial für innovative Lehr- und Lehrformate an der Universität Stuttgart haben.

 

Organisation:

Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung IZKT www.izkt.de

 

Konzeption, Organisation und Leitung des Workshops: Dr. Elke Uhl, Natalia Pfau M.A.

 

Jury-Mitglieder: Jørn Precht, Professor für transmediales Storytelling an der HdM, Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin Stuttgart Mitte und Dietrich Heißenbüttel, freier Journalist

 

Workshop-TeilnenmerInnen:
Leonie Bachmeyer (Sozialwissenschaften), Jan-Simon Boschen (Technologiemanagement), Benjamin Dahlmann (Nachhaltige Elektrische Energieversorgung), Rudolf Elenberg (Mechatronik), Carsten Fichtner (Energietechnik), Viviane Gerster (Planung und Partizipation), Julia Gruber (Energietechnik), Michael Harder (Planung und Partizipation), Adam Jorczick (Germanistik), Susanne Kacik (Architektur und Stadtplanung), Jannis Krüger (Sozialwissenschaften), Steffen Kuhne (Fahrzeug- und Motorentechnik), Lukas Lang (Mechatronik), Marius Michel (Planung und Partizipation), Tanja Meinhardt (Sozialwissenschaften), Philipp Lukas Metzler (Nachhaltige Elektrische Energieversorgung), Kilian Necker (Technologiemanagement), Sophia Roller (Sozialwissenschaften), Luise Sanders (Planung und Partizipation), Katharina Schäffer (Technologiemanagement), Tim Schaffitzel (Energietechnik), Katja Schulze (Umweltschutztechnik), Julius Stark (Architektur und Stadtplanung), Annabel Stoffel (Planung und Partizipation), Volker Weißmann (Physik)

 

 

Text der Gewinner-Geschichte:

 

Günther F. Wir Kinder vom Österreichischen Platz

Jan-Simon Boschen, Michael Harder, Steffen Kuhne, Philipp Lukas Metzler, Annabel Stoffel und Luise Sanders

 

Es war wie immer, ein sonniger Tag in einer tristen Betonmetropole. Der UV-Index weit über Durchschnitt. Außer massiven Betonbrücken und Bauwerken liefert kein Baum mehr kühlenden Schatten. Die ganze Stadt scheint zu schwitzen. Wir befinden uns im Jahre 2050 nach Christus. Ganz Stuttgart ist von Hitze-Inseln und Lithium-Bombern besetzt. Ganz Stuttgart? Nein! Ein von unbeugsamen Stadtgestalten bevölkerter Platz hört nicht auf, dem Klimawandel und der Trostlosigkeit der Stadt Widerstand zu leisten.

 

Genau der richtige Ort, um der andauernden Hitze zu entfliehen. Ich versorge meine Haut mit Lichtschutzfaktor 80 und mache mich mit dem Fahrrad auf den Weg zum Österreichischen Platz.

 

Da erhalte ich einen unerwarteten Anstoß von einem autonom fahrenden Auto im „Shared Space“ auf der Tübinger Straße. Die leise summenden Elektrofahrzeuge sind schon lange keine Seltenheit mehr und tummeln sich um die wenigen Fahrradfahrer. Auf der Fahrradstraße ist es kaum besser. Schweiß gebadet am Österreichischen Platz angekommen, fülle ich meine Trinkflasche am Brunnen auf und setze mich in der Nähe des Kiosks in eine Hängematte, um auf meine Freunde zu warten. Günther, der Kiosk-Besitzer, setzt sich zu mir. Sein weißer Bart blendet mich. Wie immer fängt Günther an zu erzählen:

 

„Weißt du, als ich so alt war wie du, da sah hier noch alles ganz anders aus. Anstelle der Strandbar war hier eine Tankstelle, thronend inmitten verstopfter und stinkender Straßen. Unten auf den dunklen Parkdecks, wo wir heute auf einem idyllischen Strand sitzen, fanden die besten Raves statt. Die Hochtöner der Tonkünstler waren das einzige, das den Lärm der Stadt übertönen konnte. Ich war damals noch ein junger Student. Meine Eltern hatten große Erwartungen an mich. Das einzige, was größer war als die Erwartungen, war mein Taschengeld. Und so schlug ich mir hier am Österreichischen Platz die Nächte um die Ohren. Vor den Raves gingen wir bei Toni an der Tanke vorbei. Nach dem Bezahlen fuhr er sich immer durch seinen langen weißen Bart und ermahnte uns mit einem Augenzwinkern, anständig zu bleiben. So schlug ich mir Nacht um Nacht um die Ohren und vernachlässigte zunehmend mein Studium. Die Begeisterung meiner Eltern über meinen Lebensstil war ungefähr so groß wie die meiner Professoren über meine Leistungen. Kurzum: 5,0. Exmatrikulation. Als meine Eltern abermals Drogen bei mir fanden, eskalierte die Lage. Auf einen Schlag war ich mittellos und auf mich allein gestellt.

 

Somit gab es kein Zurück mehr. Ich war gezwungen, mich in eine neue Welt zu begeben, deren Regeln ich erst noch lernen musste. In meiner Einsamkeit ging ich an den Ort, der mir schon so oft Zuflucht bot. So landete ich wieder bei Toni an der Tanke, doch diesmal auf der anderen Seite der Ladentheke. Toni bot mir an, für ihn zu arbeiten, um so mein eigenes Geld zu verdienen. In der ersten Zeit konnte ich in der Tankstelle übernachten.

 

Mein Einkommen würde für eine kleine Besenkammer in einer überladenen WG in einem der Wohnheime reichen. So hätte es wohl enden können, doch ich hatte noch nicht genug gelernt. Mit meinen Eltern hatte ich schnell abgeschlossen, mit den Drogen und meinem damaligen Lebensstil jedoch nicht. Schnell vermisste ich meinen alten Wohlstand. Um zu meinem dekadenten Leben zurückzukommen, musste ich mir eine neue Einnahmequelle erschließen. Auf der Suche kam ich mit dem Dealer meines Vertrauens ins Gespräch. Dieser eröffnete mir ganz neue Möglichkeiten. In einer weiteren umtriebigen Nacht kamen wir auf die Idee, die Ladentheke der Tankstelle für meine Deals zu nutzen. Der Return of Investment lag bei 400 Prozent.

 

Toni bekam Wind von der Sache und war ganz und gar nicht begeistert. Als er mich nach der zweiten Abmahnung wieder beim Dealen erwischte, geriet die Situation außer Kontrolle. Es kam zu einem handgreiflichen Gemenge. Als ich wieder zu mir kam, lag Toni tot auf dem Boden. Das war für mich ganz persönlich die größte Katastrophe meines Lebens. In meiner Anklage stand, dass ich Toni in meinem Rausch mit der Waffe, die er gegen Raubüberfälle unter dem Tresen aufbewahrte, erschossen hätte. Die nächsten 15 Jahre verbrachte ich in Stuttgart-Stammheim.

 

In der Einsamkeit meiner Zelle, vergleichbar mit der tristen Situation unter der Paulienenbrücke, kam mir die Erkenntnis. Da merkte ich endlich, dass ich es die ganze Zeit falsch gesehen hatte: In Wirklichkeit hatte ich mein Leben nicht so in den Griff bekommen, wie ich mir dies vorstellte. Meine Unabhängigkeit musste ich wohl auf legalem Wege bestreiten. Geblendet vom neuen, hellen, umgestalteten Österreichischen Platz eröffnete ich den Kiosk Zum Toni, um die Erinnerung an meinen Retter Toni aufrecht zu erhalten. Er würde sich freuen, wie sich dieser Platz verändert hat. Heute sind dieser Ort und ich nicht mehr derselbe wie zuvor, wir sind an dieser Geschichte gewachsen!“

 

Zwischenzeitlich sind meine Freunde zu uns gestoßen. Günther verschwindet wieder in seinem Kiosk. Wir sitzen noch eine Weile in den Hängekörben im Schatten der Solarkuppel und genießen unsere veganen Drinks. Der Lärm aus Günthers Geschichte ist heute nicht mehr präsent. Aus dem Verkehrsgiganten über uns wurde ein Kreisel. Die Elektroautos und das städtische Tempolimit von 30 km/h zeigen wenigstens hier ihren Zweck. Wir trinken unsere Drinks leer und bringen die Recycling-Becher wieder zu Günther, der sich mit den Worten: „Bleibt anständig, Jungs!“ verabschiedet.

 

„Günther F. Wir Kinder vom Österreichischen Platz“ Veröffentlichung in der Kontext-Wochenzeitung am 01.05.2019.

 

22.05.2019

von
Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur

REALLABOR FÜR
NACHHALTIGE MOBILITÄTSKULTUR

FUTURE CITY LAB

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